Redebeitrag bei der Frauenkampftag-Demo 2019

Bei der Aachener Frauenkampftag-­Demo am 08.03.2019 hat eine Person unserer Gruppe einen Redebeitrag zum Thema „Pflegeaufstand statt Pflegenotstand“ gehalten. Zum Nachlesen haben wir ihn jetzt für euch hochgeladen:

Ich arbeite jetzt schon seit über 5 Jahren direkt in der Altenpflege und mache gerade meine
Ausbildung zur examinierten Pflegekraft. Und eines ist klar: Deine Würde kannst du als Pflegekraft oder als Bewohner*in erst mal komplett in die Tonne kloppen!
Wie lange müssen Bettlägrige ihre Klingel malträtieren, bis endlich jemand kommt? Im
schlimmsten Fall sind sie bis dahin gestorben. Wie viele Kilometer muss eine Pflegekraft am Tag über die Flure oder Straßen hetzen, den Zeitdruck im Nacken und gleichzeitig mit dem Versuch, alle Patient*innen vernünftig zu versorgen?
Daran ist vor allem ein immenser Personalmangel schuld.
Das ist uns allen klar und nicht erst seit gestern! Das ist auch der Politik seit langem klar und auch den Krankenhäusern, Pflegeheimen und
­Stationen. Ein paar nackte Zahlen: Bis 2030 werden wir 500.000 unbesetzte Stellen in der Pflege haben, wenn es denn so weitergeht. Schon jetzt sind es weit über 125.000 Personalkräfte, die uns fehlen. Die Folgen dürften auch klar sein: Abfertigung von Menschen wie am Fließband, Pflegefehler, die zu Krankheiten führen, Stress und Aggressionen, kaputte Psychen, Knochen und Gelenke bei den Pflegekräften. Und am Ende sogar tote Bewohner*innen und Patient*innen, deren Tod zustande kam, weil niemand für sie rechtzeitig da war.
Das ist die Realität und sie geht fast alle von uns etwas an. Denn wir alle könnten mal pflegebedürftig werden und wenn nicht wir, dann zumindest unsere Nächsten.
Und dieser Personalmangel ist ja nicht einfach so vom Himmel gefallen. Es gibt konkrete Gründe zu nennen, warum so viele Stellen in der Pflege unbesetzt bleiben.
Hier in Westdeutschland kannst du dich mit 1800€ netto bei einer Vollzeitstelle in der Altenpflege glücklich schätzen. 1800€ für diese harte Arbeit?
Und mach‘ mal eine Vollzeitstelle in der Pflege:
Das heißt 6 Tage­-Woche. Das sind 12 Tage am Stück arbeiten, dann 2 Tage frei und dann wieder 12 Tage am Stück arbeiten.
Mach das mal Jahre lang auf einer Demenz-Station, alleinerziehend und mit
Schichtdienst!
Wer da drüber nicht vollkommen kaputt und pleite geht, kann sich gerne mal bei mir
melden. Die Person möchte ich kennen lernen.

Aber Personalmangel, Überstunden, beschissene Bezahlung und Arbeitszeiten sind ja nicht das einzige was dazu führt, dass kaum wer eine Ausbildung in diesem Bereich anfangen
beziehungsweise fertig machen möchte und die Meisten nur 7­8 Jahre im Job verweilen.
Blicken wir doch mal auf die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Kranken­-, Alten­- und
Behindertenpflege sind medizinisch anspruchsvolle Berufsfelder, die ein enormes Maß an
Verantwortung, Sozialkompetenz und Wissen benötigen. Dass man diese Berufe immer noch aufs Arsch­-Abwischen reduziert, zeugt schon von einer ordentlichen Portion Chauvinismus.

Ein sexistischer Chauvinismus, der Care-­Arbeit ständig herabwürdigt. Care­-Arbeit, die meist immer noch von Frauen* erledigt wird sei es die Pflege und Erziehung zuhause oder im Betrieb oder auchdas Schmeißen des Haushalts. Sie wird entweder beschissen oder gar nicht bezahlt! Und das zeigt sich dann in den 21% Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen, in den Rentenbezügen und in Armutszahlen!
Und zu Kommentaren wie „Krass, dass du einen solchen Beruf machst, ich könnte so was ja nie im
Leben machen!“ kann ich nur entgegnen: „Natürlich kannst du diesen Beruf nicht machen! Du hast ihn ja schließlich auch nicht gelernt! Kommt mal aus eurer privilegierten Komfortzone raus!“
Wir brauchen schließlich nicht euer Mitleid sondern eure Solidarität! Denn wenn wir keine Solidarität erfahren, wie sollen wir dann bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen?
Unser Handlungsrahmen ist stark begrenzt. Das kirchliche Arbeitsrecht, unter dem viele
Pflegekräfte arbeiten, verbietet Streiks kategorisch, genauso wie gewerkschaftlicher Arbeitskampf im kirchlichen Betrieb. Und selbst wenn wir streiken würden, wir haben immer noch die Verantwortung für die Leute, die wir pflegen. Natürlich sollten wir dennoch Streiks organisieren, diese an die Gegebenheiten anpassen, aber ohne die Solidarität anderer wird dies nicht möglich sein. Wenn ich in Frankreich auf eine Demo auf die Straße gehe, dann höre ich von allen Seiten
„Grève General!“.
Lasst uns den Generalstreik auch hierzulande als Kampfmittel wieder entdecken! Nicht nur, um unsere eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, sondern auch um dieses verkackte System zu überwinden wegen dem es überhaupt erst zu solchen Ausbeutungsverhältnissen unter anderem und vor allem in frauen*dominierten Berufen kommt! Wenn wir dem System all unsere Arbeitskraft und Produktivität verweigern, können wir ihm seiner Grundlage berauben!
Bis wir soweit sind, hätte ich aber noch ein paar Forderungen kund zu tun:
­ Weg mit dem kirchlichen Arbeitsrecht und dessen Paralleljustiz! Uneingeschränktes Streik­ und Gewerkschaftsrecht für alle!
­ Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit! Egal ob die Pflegekräfte im Privatsektor, bei der Kirche
oder im öffentlichen Dienst angestellt sind!
­ 20€ Mindestlohn für Pflegekräfte! 20€ ist der ungefähre Durchschnittsverdienst in Deutschland.
Warum sollten wir, die diejenigen, die diese knüppelharte Arbeit tätigen, weniger als das
verdienen? Insofern eine recht bescheidene Forderung, findet ihr nicht?
Das sind Forderungen, die es zu erkämpfen gilt und ich hoffe, dass wir Pflegekräfte uns endlich mal soweit organisieren können, dass wir dafür stark und konsequent genug sind.
Mit solch verbesserten Rahmenbedingungen wäre der Personalmangel dann auch schnell wieder Geschichte!
Also weg mit dem Pflegenotstand und lasst uns stattdessen den Pflegeaufstand erproben!

Dieser Beitrag wurde unter Eigene Texte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.