Egal ob EU oder Nation, die Frage ist: Tyrannei oder Anarchie

Im Januar trafen sich die sogenannten Staatsoberhäupter von Frankreich und Deutschland, namentlich Angela Merkel und Emanuel Macron in Aachen um einen symbolischen Vertrag zur Einheit im Deutsch-Französischen Grenzland zu unterzeichnen.
Wir nahmen dies zum Anlass unsere Sicht der Dinge in einen Text zu gießen und unter die am Aachener Rathaus demonstrierenden, feiernden und beobachtenden Menschen zu bringen.
Nachträglich veröffentlichen wir hier unseren Text:

Egal ob EU oder Nation – Die Frage ist: Tyrannei oder Anarchie !

Unsere Irrationale Gesellschaft

140 Millionen Klima-Flüchtlinge werden erwartet bis 20501. Schon jetzt haben 7 Millionen Menschen in Bangladesh ihre Heimat verloren. 24 Milliarden Tonnen fruchtbarer Boden gehen jedes Jahr verloren, auf Grund von vielfältiger Umweltzerstörung und schädlicher Dünger2. Diese und weitere Probleme sind die direkte Folge einer Wirtschaftsweise, welche auf Wachstum angewiesen ist und Menschen zur Arbeit zwingt. Die Wirtschaft ist durchsetzt von nutzloser oder schädlicher Arbeit und Produktion. Es werden Ressourcen verwendet, um an sich nutzlose Statusgüter4 zu produzieren. Dann werden weiter Ressourcen verschwendet, um Nachfrage für diese zu erschaffen (Marketing, Manipulation durch soziale Medien etc.). Zusätzlich gibt es für diese Statusgüter eine „geplante Obsoleszens“5. Das heißt, dass die Lebenszeit der Produkte künstlich kurzgehalten wird, damit der Konsument bald wieder neu kauft. Dies trifft auf Smartphones, Autos, Fahrräder, Kleidung, Hygiene Produkte  etc. zu. Die überwiegende Mehrheit aller ökologisch schädlichen Produktion ist sinnlos, entweder weil direkt sinnlose Produkte hergestellt werden, oder weil Unterstützungsarbeit zur sinnlosen Produktion geleistet wird; beispielsweise Putzkräfte, welche die sinnlosen Marketing-Büros aufräumen und der Zug der hauptsächlich Pendler zu ihren sinnlosen Arbeitsplätzen bringt.

Diese Art der Produktion zerstört nicht nur unsere Umwelt, sondern schädigt auch die Lohnarbeiter*innen. Es raubt ihnen selbstbestimmte Zeit und macht sie stattdessen zu Befehlsempfänger*innen in einem Betrieb. Diese Zeit könnte man verwenden um sein Kind zu erziehen, sich politisch einzubinden, seinen Garten zu bebauen etc. Eine private Firma ist eine Diktatur. Ein multinationaler Konzern ist eine globale Diktatur. Sobald Lohnarbeiter*innen die Firma betreten sind sie Befehlsempfänger*innen. Es wird von ihnen erwartet, dass sie in der Arbeit ihre Interessen dem der Besitzer*innen unterordnen. Falls sie das nicht tun, gibt es Strafen. Diese Art von hierarchischer Unterordnung hat vielfältige negative psychologische Folgen für Lohnarbeiter*innen.

Die Zeit, als der Arbeitszwang wirtschaftlich nötig war, ist lange vorbei. Mit weitaus weniger Produktion könnten wir alle unsere Bedürfnisse erfüllen und größtenteils Freizeit haben. Neue Technologien (wie zum Beispiel selbstfahrende Autos, Künstliche Intelligenz, etc.) werden in kurzer Zeit noch mehr menschliche Arbeit überflüssig machen. Allerdings werden diese Technologien weiterhin schädlicher Produktion dienen, sofern sich die Regeln des Wirtschaftens nicht radikal verändern. Der Arbeitszwang ist ein Gesetz, das der Staat mit Eigentumsrechten, Sanktionen und Gewalt auf Kosten von Menschen und Umwelt durchsetzt. Wir können uns den Arbeitszwang nicht mehr leisten!

Das Problem heißt Hierarchie !

Die Welt steht inmitten einer globalen Katastrophe. Deutschland hat es nicht mal geschafft die (viel zu geringen) selbstgesetzten Ziele für 2020 zu erreichen7. Zu Zeiten einer Produktionskrise, in der neue Technologie Menschen aus der Arbeit drängt und die meiste Produktion ohnedies schädlich ist, erhöht Macron die zulässige Höchstarbeitszeit und kürzt Sozialleistungen8. Dies erzeugt direkt Leid bei Überarbeiteten, Unterbezahlten und Arbeitslosen und viele in Frankreich wehren sich zurecht dagegen. Zusätzlich erhöht es den Druck zu arbeiten. Der Arbeitszwang muss weg! Aber selbst ein hohes „Bedingungsloses Grundeinkommen“ würde nicht ausreichen, um unsere Probleme zu lösen. Da Firmenbesitzer*innen weiterhin in zunehmend automatisierten Betrieben destruktiv produzieren würden, während die Grundeinkommen-Bezieher*innen abhängig, von den übermächtigen Firmen-Besitzer*innen wären. Wir Anarchist*innen streben eine Produktion an, in der große Firmen zerbrochen werden und keine Einzelpersonen Betriebe besitzen können. Stattdessen werden alle Mitglieder einer Gemeinschaft, in der ein Betrieb verankert ist, gemeinsam (basisdemokratisch) entscheiden können, was wie produziert wird und wie Produkte des Betriebs an die Gemeinschaft verteilt werden. Wenn die Gemeinschaft selbst entscheidet, was sie braucht und wie produziert werden soll, gibt es keine Anreize mehr zu Überproduktion von sinnlosen Gütern. Wenn die verbleibende Arbeit und der Profit gleichmäßig in der Gemeinschaft verteilt werden, können rationale Entscheidungen über mehr Produktion oder mehr Freizeit getroffen werden. Wenn eine Gemeinschaft danach strebt autark vom sie umgebenden ökologischen System zu leben, dann werden die ökologischen Kosten von Produktion von den Mitgliedern der Gemeinschaft selbst getragen und die ökologische Krise wird von jeder Gemeinschaft individuell gelöst werden.
Es zeigt sich also:

Nur wenn die Hierarchien in Wirtschaft und Politik verschwinden ist eine Lösung der ökologischen und sozialen Krise möglich !

Eine rationale Veränderung der Produktion, welche den Menschen mit seiner ökologischen Umgebung in Einklang bringt muss keine Zukunft des Mangels und Entbehrung sein. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Zukunft, in der die Menschen befreit sind von mühsamer, sinnloser Arbeit und moderne Technologie eingesetzt wird zur Stillung von echten Bedürfnissen aller Menschen und zur Lösung lokaler und globaler Probleme, anstatt zur Schaffung von Bedürfnissen und von Kontrolle.

Wie bereits erklärt ist der Großteil der Tätigkeit von Konzernen gesellschaftlich nutzlos, oder schädlich und die nützliche Tätigkeit, welche von Firmen erfüllt werden, könnten von demokratischen Betrieben besser erfüllt werden. Jedoch profitieren die Besitzer*innen der Konzerne von ihrer Existenz. Es erlaubt ihnen eine große Macht über Politik und Gesellschaft auszuüben. Die Firmen können nicht ohne den Staat, da sie auf die Polizei und Gerichte angewiesen sind. Der Staat kann nicht ohne das Geld der Besitzer*innen. Die „Pulse of Europe“-Menschen haben Unrecht, wenn sie die EU mit einem demokratischen und solidarischen Europa verwechseln, ohne zu sehen, dass die EU von ihrer Gründung ein Instrument war den europäischen Süden in Abhängigkeit von nördlichen Firmen9– und Länder zu Privatisierungen zu zwingen (und damit große Teile der Wirtschaft jeglicher demokratischen Kontrolle zu entziehen)10. Die „Euro-Skeptiker*innen“ haben Unrecht, wenn sie denken, dass ihnen ein EU-Austritt die Kontrolle über „ihr“ Land zurückgibt. Kleine Staaten, die in der globalen Wirtschaft integriert sind, werden zu Spielbällen von Großkonzernen und internationalen Handelsabkommen. Es wird zu einem Wettlauf nach unten kommen. Das Land das am meisten Steuern senkt und Sozialleistungen abbaut wird am attraktivsten für Investor*innen.
Mit oder ohne EU: Das Kapital beherrscht den Staat, der Staat beschützt das Kapital.

Die Lösung heißt Selbstorganisation !

Wir sind Anarchist*innen daher wollen wir in einer freien Gemeinschaft leben in der sowohl die Produktion als auch die Politik horizontal und frei von Hierarchie organisiert ist. Die Bewohner*innen Gemeinschaft sollen direkt demokratisch mitentscheiden können was hier passiert, nicht aber ein ferner Verwalter in Berlin, Paris oder Brüssel. Die Gemeinschaft sollte danach streben, sich im Einklang mit dem regionalen Ökosystem sich selbst erhalten zu können und Überschüsse mit anderen Regionen zu teilen. Die verschiedenartigen Umweltbedingungen werden verschiedenartige Gesellschaft und Produktionsweise hervorbringen. Der Weg in die bessere Welt ist einerseits gegen Staat und Kapital zu kämpfen und andererseits heute schon Strukturen aufzubauen, welche ihre Herrschaft ersetzen können. Wir von der Anarchistischen Organisation Aachen versuchen schon heute anti-autoritäre Lebens- und Produktionsweisen aufzubauen. Einerseits werden wir als Teil der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) Arbeitskampf führen mit dem Langzeitziel, bestehende Konzerne zu vergesellschaften. Andererseits werden wir mit „Recht auf Stadt“ gegen Mietwucher kämpfen, mit dem Ziel uns Freiräume für eine anarchistische Lebensweise zu schaffen. Zuletzt versuchen wir Aufklärungsarbeit zu leisten und Menschen von unserer Vision der Zukunft zu überzeugen. Wir wollen eine breite gesellschaftliche Basis in Aachen schaffen, von Leuten, die das Problem erkennen und an der Lösung mitarbeiten wollen.

Quellen

1 Weltbank (https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2018/03/19/climate-change-could-force-over-140-million-to-migrate-within-countries-by-2050-world-bank-report)

2 UNCCD report (https://www.unccd.int/sites/default/files/relevant-links/2017-10/CB%20evaluation%20final%20report.pdf)

3 Statista (https://www.statista.com/statistics/282197/global-marketing-spending/)

4 Leibenstein, H. (1950). „Bandwagon, Snob, and Veblen Effects in the Theory of Consumers‘ Demand“. Quarterly Journal of Economics64 (2)

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Geplante_Obsoleszenz

6 Hartz IV Sanktionen: https://www.hartz4hilfthartz4.de/hartz-4-sanktionen/

7 https://www.tagesschau.de/inland/treibhausgasemissionen-101.html

8 https://www.handelsblatt.com/politik/international/nationalversammlung-stimmt-fuer-arbeitsmarktreform-macron-der-macher/20643540.html?ticket=ST-854310-1NaxDEbeTdArJuwmViH1-ap2

9 https://corporateeurope.org/power-lobbies/2017/11/european-commission-preparing-new-privatisation-push

10 “And the Weak Suffer What They Must?: Europe’s Crisis and America’s Economic Future” – Yannis Varofakis

 

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